Identität im Alter - auf dem Fyrabebänkli

Etwas zu dieser Lebenssituation zu schreiben, fordert mich heraus. Bis anhin konnte ich meine Erfahrung mit einbringen. All die vorangehenden Lebensabschnitte habe ich durchlebt oder stecke mittendrin. Und hier stehe ich vor dem Lebensabschnitt, der noch vor mir liegt. Meine Gedanken basieren daher auf meinen Beobachtungen, auf Aussagen von Menschen in diesem Alter oder aus der Literatur.

 

Und da steht auf einmal die Frage im Raum «War es das?». Es wird uns bewusst, dass wir nichts mehr nachholen können. Genau deshalb ist es so wichtig, dass wir in der Lebensmitte die Chance nutzen unsere Muster und Werte zu hinterfragen und uns sogar von ihnen zu trennen. Wenn wir diesen Prozess durchlaufen haben, trauern wir auf dem Fyrabebänkli weniger den Versäumnissen nach. Es machen sich weniger Vorwürfe breit wie, was habe ich falsch gemacht, hätte ich dies oder jenes doch anders gemacht oder ausgelebt.

Die Identität wird bedroht durch den Statusverlust aufgrund der Pensionierung, durch den Verlust der Fitness und der Mobilität, durch die Abnahme unserer Hör- und Sehkraft. Wir verabschieden uns von der Jugend und unserer Vitalität. Das Mithalten am Tempo der Gesellschaft fällt zunehmend schwerer. Alles, was mit Leistung zu tun hat, verliert an Wert. Wer sich über die Leistung definiert hat, fällt in ein tiefes Loch.

Das Thema Verlust und Loslassen ist omnipräsent. Nun geht es nicht mehr darum, was wir mit unserem Hobby erreichen, sondern es stellt sich die Frage, wie wir unserem Hobby nachgehen können?

Es bleibt uns nichts anderes übrig, als das Altern zu akzeptieren. Die Akzeptanz des Alterns hängt davon ab, welches Bild ich vom Alter habe. Ist es ein Bild vom gebrechlichen, pflegebedürftigen, einsamen Menschen oder das Bild von dem alten Menschen, der immer noch die Möglichkeit hat Neues zu lernen, seinen Geist trainiert, Zeit hat und seine Lebenserfahrung einbringt? Wer eine positive Sicht auf das Alter und auf sein Selbstbild hat, bleibt körperlich aktiver oder beteiligt sich öfter an sozialen Aktivitäten, als Menschen mit einem negativen Selbstbild.

Die Lebenszufriedenheit im Alter ist aber auch abhängig von der individuellen Lebensgeschichte, dem Gesundheitszustand, der Möglichkeit zu sozialen Kontakten, der Möglichkeit zur Teilhabe an der Gesellschaft.

Ja, wir können nichts nachholen, aber wir können dafür sorgen, dass wir zufrieden sind. Diese Zufriedenheit finden wir, wenn wir danach suchen, was uns Halt gibt. Das ist wichtig, damit wir das Leben gut abschliessen und wir uns auf den Tod vorbereiten und auf das, was kommt.

Wer einen Sinn im Leben gefunden und von seiner Daseinsberechtigung überzeugt ist, dem geht es mental und körperlich besser, denn er ist aktiver und somit glücklicher. Glaube und Spiritualität spielen im Hinblick auf die Frage der Daseinsberechtigung eine grosse und wichtige Rolle.

Es kommt aber nicht nur darauf an, ob ich den Lebenssinn gefunden habe, sondern es hängt auch davon ab, ob ich über Lebensstrategien verfüge und sie anwenden kann. Wenn ich in meinem Leben gelernt habe schwierige Situationen zu meistern, kann ich auch im Alter den Herausforderungen besser begegnen und sie besser hinnehmen.

Was am Schluss bleibt? Es sind die Beziehungen. Davon zerren wir im Alter. Deshalb ist es wichtig, schon frühzeitig in Beziehungen zu investieren. Es ist schwierig im Alter neue Beziehungen aufzubauen. Viele bereuen am Lebenesende zutiefst, dass sie für Freundschaften zu wenig Zeit und Mühe aufgewendet haben.

 Eva Gruber 

Und ich schliesse mit dem Lied von Polo Hofer: We mis letschte Stündli schlat